Ich bin schon verwundert, wer welcher finsteren Verschwörungstheorie verfallen ist in diesen unsicheren Zeiten der Pandemie. Für manchen ist das Virus gar selbst eine Lüge und Erfindung finsterer Mächte, die unsere Freiheit einschränken wollen und danach trachten, alles kaputt zu machen, was uns lieb und teuer ist.
Da jedes Vernunftargument sich als erschreckend unfruchtbar erweist gegen solche Geschichten, kommt mir die Ahnung, dass die weniger mit Vernunft und Wissen und verantwortungsvollem Erwachsensein zu tun haben.
Ihr Nährboden findet sich viel tiefer in unserer Seele, dem kindlichen Bereich und der Märchenwelt. Wir Menschen sind nun mal Geschichtenerzähler. Selbst Wissensvermittlung gelingt besser, wenn ich die Fakten in eine spannende Story packe.
Wenn jedoch die Professorinnen und Doktoren der renommierten Institute ihre zwingenden Zahlen runterrasseln und die Politik zu Besonnenheit und Verantwortung aufruft, erreichen sie damit allenfalls unseren Verstand und damit nicht einen mächtigen kindlichen Wesenskern unserer Persönlichkeit.
Das Innere Kind, dieser wilde, geniale, kreative, ungebändigte, verletzliche, schützenswerte Teil unseres Selbstes sagt da im besten Falle: „Langweilig!“ Oder es dreht den ach so erwachsenen Regeln die Nase und sagt trotzig: „Ich mache, was ich will!“ Schlimmstenfalls jedoch fürchtet sich der verletzliche Teil unseres Inneren Kindes. Wenn selbst die Erwachsenen, die Wissenschaftler, die Politiker und Entscheider nicht so genau wissen, was das wird mit dieser Pandemie, was das bedeutet für die Zukunft, wie lange es geht, ob es auch mich treffen kann oder einen meiner geliebten Menschen, dann ist das ganz ungeheuerlich und schrecklich unsicher. Existentielles steht auf dem Spiel. „Furchtbar“, flüstert die Angst und hat keinen Plan, wie damit umgehen.
Wenn wir keine Ahnung haben, dann hilft uns eine andere Gabe. Das Innere Kind, als die Kreativabteilung unseres Selbstes, beruft sich auf das Zaubermittel, das es am besten beherrscht: die Vorstellungskraft. Mittels dieses göttlichen Funkens vermögen wir uns alles an Zukunft und Szenarien auszumalen, und zwar drastisch und mit allem Drum und Dran eines spannenden Thrillers. Besser auf das Schlimmste vorbereitet sein, als dann überrascht zu werden und unterzugehen. Mit diesem fantastischen Schutzmechanismus hat die Menschheit bis heute überdauert. Es haben die Vorsichtigen überlebt, die mit der besten Vorstellungskraft. Irgendwo habe ich einmal gelesen, dass eben die Menschen überlebt haben, die imaginiert haben, dieser gewundene Stock sei eine Schlange, um dann erleichtert festzustellen, dass es doch nur ein Stock war. Die fantasielosen Zeitgenossen, die das nicht konnten, sind eben doch ab und an auf die Giftschlange getreten, weil sie sich nicht vorstellen konnten, dieser komische Stock sei lebendig. So sind diese Menschen leider nach und nach ausgestorben. Die Vorsicht, aus einer angstvollen Vorstellung geboren, hatte das Überleben gesichert.
Damit sehen wir, dass es eher die angstmachenden Vorstellungen sind, die unser Inneres ansprechen. Solche Geschichten mobilisieren alle unsere Sinne und faszinieren uns. Und deswegen ist die wildeste Verschwörungstheorie allemal effektvoller, als der nüchterne Corona-Bericht des Robert-Koch-Instituts. Vielleicht sollten sich zumindest die Berichterstatter darauf verlegen, ihre Fakten möglichst in eine spannende Story zu packen, damit auch unseres Inneres Kind mitgenommen wird, wenn es darum geht durchaus sinnvolle Maßnahmen einzuhalten.
Doch bis das so weit ist, lade ich dazu ein: nehmt die Verschwörungsgeschichten als das, was sie sind: spannende Fantasy-Geschichten. Habt euren kindlichen Anteil dabei liebevoll, wie wachsam im Blick. Denn ihr seid der Erwachsene in eurem Leben, der Kapitän eures Lebensschiffes und deshalb verantwortlich für alle Passagiere und Anteile. Bleibt auf der Brücke und passt auf, dass nicht die Ängste eures Inneren Kindes dort herumklabautern. Ihr seid der Kapitän. In diesem Sinne: Schiff ahoi und gute Lebensreise! Bleibt gesund und unverzagt.
Herzlich, eure Sylke